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08.12.2024

Die Weihnachtsausstellung

                                                                                  

Die letzte Woche vor Weihnachten war die schönste des Jahres, denn sie trug das Gepräge des Winters. Auf dem festgetretenen Schnee knirschte der Schritt, und die Räder des mit Weihnachts-paketen vollgepfropften gelben Postwagens heulten und sangen, wenn der schwerfällige Wagen die „Huche Gaß“ (Geraer Straße), und kreischten wild auf, wenn sie durch die dampfenden Postgäule die Oettersdorfer Höhe empor in Schwung gesetzt wurden. Das Mundstück des Posthorns gefror an den Lippen des Postillon–Schwagers, wenn er sei Liedlein zu schmettern begann. So war es gewöhnlich in der Weihnachtswoche. Man hätte sich ein Weihnachten ohne die verschneite Landschaft gar nicht denken können, dazu ein Weihnachtsfest, wie es von Ludwig Richter gezeichnet wurde. Mit dem unentbehrlichen Schlitten oder der ärmlichen „Käsehitsche“, den vermummten Kindern, das war ein Weihnachten echtester deutscher Art, ein poesievolles und fröhliches Fest. Damals waren die Grundzüge des Weihnachtsfestes, Schlichtheit und Zufriedenheit. Ein zappelnder Hampelmann für den dreijährigen Gustav machte mehr Spaß und Vergnügen als ein Schaukelpferd. Was schenken wir dem Kinde? Das ist heute eine brennende Frage, da das Kind immer das neuste vom neuen verlangt. Da ergreift die Alten unter uns ein wehes Gefühl, wenn sie jetzt zurückschauen auf die damals ganz andere geartete Welt, und das Heimatgefühl für die väterliche Scholle kommt zum elementaren Ausdruck.So wollen wir denn noch einmal durch die verschneiten Gassen der lieben Vaterstadt wandern und die Weihnachtsaustellung besuchen, die damals vom 1. Advent ab da und dort eröffnet wurden und die für uns Kinder eine Welt der Wunder darstellte. Zuerst gehen wir zu Meusels Edmund am alten Bassinplatz (Neumarkt), denn Meusels Edmund hat seit dem letzten Weihnachten die kompletteste Ausstellung in seinen im Parterre seines Hauses gelegenen Geschäftsräumen ins Leben gerufen, die auch großen Zuspruch hat. Obwohl in dem neben der Ladentür befindlichen in seiner Winzigkeit unauffälligen Schaufenster nur wenige Artikel zu sehen sind, so überrascht uns das Arrangement umso mehr, wenn wir in den ersten Ausstellungsraum treten. In der Mitte ist eine lange Tafel aufgestellt, auf der Edmund, der Spaßvogel und der Weihnachtsmann, seine hervorragendsten Festgaben aufgestapelt hat. Da ziehen die s schönsten Tusch und Baukasten unsre Augen an sich: der Laubsägebogen und der Laubsägekasten bringen unsere Wünsche ins Erwachen, und die interessantesten Modellierbögen, die Burgen, Schlösser, Bauerhäuser, das Lottospiel, das Schwarze-Peter-Kartenspiel und viele andere schlagen uns in den Bann, während wir zwischen den bunten „Münchner Bilderbögen“ und den ungetuschten „Fliegenden Blätter-Bilderbögen“ einen geistigen Wahlkampf führen. Hunderte von Festgaben sind herangezogen wurden, um den bescherenden Eltern eine bunte Auswahl zu bieten. Aber nicht nur in Spielsachen allein, bewahre, da ist Meusels Edmund ein viel zu gerissener Geschäftsmann, auch im Wirtschaftlichen. Gleich nebenan befindet sich ein zweiter Ausstellungsraum, in dem der Hausfrau beim Anblick der praktischen Sachen das Herz im Leibe lacht. Damit der Übergang geschaffen ist, hat er die Dinge so zusammengestellt, dass man die Ausstellung hätte nennen können: „Vom Spiel zur Praxis“. Kleine Kinderschaufeln, Eimerchen, Tässchen und Tellerchen bis hin zur Wirtschaftsschaufel, dem Scheuereimer, der Kaffeetasse und dem Suppenteller. Es ist bei Meusels Edmund in den Weihnachtswochen immer ein wahrer Kaufhausrummel, und Edmund, der mittelgroße breitschultrige Herr mit dem großen runden Kopf und dem bartlosen Gesicht, in dem der Mund von dem vielen Sprechen lustig in die Breite geht, nickt und sagt lachend: „Immer rein, wer Kopf und Bäne hat, es ist ja kein Kaufzwang! Und ihr Kinder: nichts angreifen!“ Wir sind eine halbe Stunde mit dem Anschauen und Bewundern beschäftigt und verabschieden uns….So denkt und plant man und schmiedet Pläne, als es zu Bette geht. Die Welt hatte ihren Vorhang aufgetan und des Kindes Seele mit Sehnsucht ausgeschmückt. Der Traumgott steigt hernieder und erfüllt sie in weit schöneren Maße als in Wirklichkeit.

Gefunden im Stadtarchiv Schleiz von Ingo Möckel

Foto: Familiengruppe Meusel, Neumarkt Schleiz